3 NS-Täter und Kriegsverbrecher im Schutz der Kirche

Die Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, August 1946

SZ Photo 00309109

Gleich nach Kriegsende gewährte die evangelische Kirche vielen belasteten Nationalsozialisten Vergebung. Ihre Fürsorge galt den kriegsgefangenen Soldaten und Internierten, fast ausschließlich inhaftierte nationalsozialistische Funktionäre, Angehörige der SS, des Sicherheitsdienstes, der Gestapo sowie mutmaßliche Kriegsverbrecher. Die Kirchenleitungen reichten Gnadengesuche ein. Sie beharrten auf der Unschuldsvermutung und sprachen von „angeblichen“ oder „so genannten Kriegsverbrechern“. In Gebetswochen, Weihnachtsgottesdiensten und Unterschriftensammlungen forderten die evangelischen Kirchen die Freilassung der Internierten und Kriegsgefangenen.

Für die Überlebenden der Massenmorde und der Lager hingegen wurden keine „seelsorgerischen Handreichungen“ verschickt. Das Mitgefühl galt den Tätern, nicht den Opfern. Erst im Zusammenhang mit den Auschwitz Prozessen in den 1960er Jahren setzte ein Umdenken zum Umgang mit den NS-Tätern ein.

Die Ausstellung behandelt den kirchlichen Schutz der Täter am Beispiel von Werner Heyde, dem medizinischen Leiter der NS-"Euthanasie"-Morde, und Hans-Joachim Beyer, hoher SS-Angehöriger und Kriegsverbrecher. Gewürdigt wird mit dem Gemeindepastor von Ladelund, Johannes Meyer, eine alternative Haltung. Er bagatellisierte die NS-Verbrechen nicht, sondern bemühte sich um Versöhnung. Sein Engagement am Ort des Außenkommandos des KZ Neuengamme führte zum Aufbau der frühen Gedenkstätte Ladelund.

»Die Ansprache müsste davon handeln, dass im Osten entgegen allen Versprechungen nahezu 50.000 Kriegsgefangene unter dem Vorwand eines Kriegsverbrechens verurteilt sind, dass auch in den Weststaaten in zweifelhaften Prozessen über 1000 deutsche Soldaten abgeurteilt wurden.«

Auszug aus den Anweisungen der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland vom April 1950 für Andachtsmaterial, das im Gottesdienst verlesen werden sollte. Hier wird der Eindruck erweckt, als seien alle Urteile von sowjetischer wie auch von West- Alliierter Seite ungerechtfertigt. Tatsächlich wurden in der Sowjetunion die Kriegsgefangenen in Massenprozessen ohne individuelle Prüfung, also nicht nach rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt. Die West- Alliierten hatten bereits 1946 alle noch in Internierungslagern befindlichen Kriegsgefangenen an deutsche Gerichte übergeben.

»Es wäre wirklich an der Zeit, dass auch dieses Kapitel durch eine Amnestie abgeschlossen, die Vergeltung durch die Vergebung abgelöst würde.«

Bischof Theodor Heckel war 1928 bis 1945 »Auslandsbischof« der Deutschen Evangelischen Kirche und Befürworter des antisemitischen »Arierparagraphen«. Als Beauftragter des Rates der EKD für Kriegsgefangenenarbeit setzte er sich in einem Rundschreiben des Hilfswerks für Internierte und Kriegsgefangene noch im Jahr 1963 für Kriegsverbrecher ein.

» …es wird endlich Zeit, dass man aufhört, immer wieder in den Lebensläufen jener herumzuschnüffeln, die längst nichts mehr von Hitler wissen wollen.«

Wolfgang Baader, Chef des Evangelischen Presseverbandes, kommentierte die Kontroverse um die Vergangenheit des Landtagsabgeordneten Heinz Reinefarth, der 1944 als SS-Gruppenführer die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes geleitet hatte; »Kirche der Heimat«, 1959

»Die Aussichten für die Befreiung der deutschen Kriegsgefangenen in Russland wären wesentlich besser, wenn die Westmächte nicht immer noch Hunderte von Kriegsgefangenen als angebliche Kriegsverbrecher in Gewahrsam hielten.«

Das Hamburger Ev.-Luth. Gemeindeblatt in Hamburg »Die Heimat« sprach im Jahr 1953, als im Westen nur noch verurteilte Kriegsverbrecher inhaftiert waren, von »angeblichen Kriegsverbrechern«. Es bagatellisierte damit auch das mörderische Tun der in den Nürnberger und Dachauer Prozessen verurteilten Täter und Schreibtischtäter.

»Begangenes Unrecht kommt nicht dadurch zur Ruhe, dass man es totschweigt, und nur Unverstand kann von Beschmutzung des eigenen Nestes reden, wo es in Wahrheit darum geht, ein schwer beschmutztes Nest zu säubern.«

Das »Wort des Rates der EKD zu den NS-Verbrecherprozessen« im Vorfeld des Frankfurter Auschwitz- Prozesses 1963 deutete eine Wende der kirchlichen Haltung an.

»Sorgt für die Freigabe der Internierten! Lasst ab von dem Sonderrecht gegen die Besiegten! Beendet die Auslieferung von Kriegsgefangenen für Kriegsverbrecher­prozesse!«

Hintergrund: NS-Täter und Kriegsverbrecher im Schutz der Kirche

Gleich nach Kriegsende gewährte die evangelische Kirche vielen belasteten Nationalsozialisten als »verlorenen Söhnen« Vergebung. Ihre besondere Fürsorge galt den Kriegsgefangenen und den Internierten. In Internierungslagern hielten die britischen Alliierten fast ausschließlich nationalsozialistische Funktionäre, Angehörige der SS, des Sicherheitsdienstes, der Gestapo sowie mutmaßliche Kriegsverbrecher fest. Im Bereich der nordelbischen Kirche nutzten sie dafür bis 1948 das ehemalige KZ Neuengamme und bis Herbst 1946 das Lager Gadeland bei Neumünster. Auch bei den Kriegsgefangenen handelte es sich in der britischen Zone ab 1948 um verurteilte Kriegsverbrecher oder um solche, gegen die noch Ermittlungen liefen.

In diesen Lagern betreuten Pastoren der nordelbischen Kirchen speziell jene SS-Leute, die im Zuge ihrer NS-Karriere aus der Kirche ausgetreten waren und nun ihre Abwendung vom Nationalsozialismus durch Wiedereintritt deutlich machen wollten. Fragen nach den Haftgründen wurden nicht gestellt, die Selbstdeutungen der Inhaftieren unreflektiert übernommen. So auch in Gadeland, wo der dort eingesetzte Pastor Hellmut Traub, im Gegensatz zu dem für Neuengamme zuständigen Pastor Hans Willi Besch, immerhin auf einem allgemeinen Schuldbekenntnis bestand. Die Kirchenleitungen reichten Gnadengesuche ein. Sie wurden selbst für verurteilte Kriegsverbrecher tätig, wann immer diese oder ihre Angehörigen sie darum baten. Sie beharrten generell auf der Unschuldsvermutung und sprachen von »Zurückgehaltenen«, von »angeblichen« oder »so genannten Kriegsverbrechern«.

Das »Evangelische Hilfswerk für Internierte und Kriegsgefangene« konzentrierte sich auf die ideelle und materielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Angehörigen. Die Schleswig- Holsteinische Landeskirche ließ die Gemeinden Patenschaften für in Frankreich einsitzende Kriegsverbrecher übernehmen. In Gebetswochen, Weihnachtsgottesdiensten und Unterschriftensammlungen forderten die evangelischen Kirchen bundesweit die Freilassung der Internierten und Kriegs gefangenen. »Seelsorgerische Handreichungen« gaben den Pastoren Ratschläge zum einfühlsamen Umgang mit Kriegsverbrechern und ihren Familien.

Für die Überlebenden der Massenmorde und der Lager hingegen wurden keine »seelsorgerischen Handreichungen« verschickt. Das Mitgefühl galt den Tätern, nicht den Opfern. Die Prozesse der Alliierten wurden als »Siegerjustiz« diffamiert. Ein Aufruf der EKD während der Kriegsverbrecherprozesse in Frankreich 1953 zugunsten der Waisenkinder von Oradour wurde von der Schleswig-Holsteinischen Landeskirche nicht verbreitet, sondern weggeheftet. Erst im Zusammenhang mit den Auschwitz-Prozessen in den 1960er Jahren setzte ein Umdenken zum Umgang mit den NS-Tätern ein.

Fünf Jahre nach Kriegsende forderte die evangelische Kirche die Freilassung der Kriegsgefangenen wie auch der verurteilten Kriegsverbrecher.
Kirche der Heimat, April 1950

Beispiel: Gedenken in Ladelund

200 Jugendliche aus der Propstei Südtondern auf dem Schweigemarsch von der damals noch existierenden letzten Baracke des KZ-Außenlagers zur Gedenkstätte, 1962
Tj. Wouters, Opdat het nageslecht het wete. Gedenkboek voor de mannen, die up 2 october 1944 uit ons dorp werden weggevoerd, Putten 1979

In Ladelund, nahe der dänischen Grenze, hatte die SS im November 1944 ein Außenkommando des KZ Neuengamme ein gerichtet. 2000 Häftlinge mussten hier einen Panzerabwehr graben und Schützengräben ausheben, als Teil des »Friesenwalls« gegen die Invasion der Alliierten. Mehr als 300 von ihnen starben durch die mörderischen Arbeitsbedingungen im eisigen Wasser, durch Misshandlungen, Unterernährung und Seuchen. Am Rand des Gemeindefriedhofs wurden sie in neun Massengräbern beigesetzt.

Nach Kriegsende hat der Gemeindepastor von Ladelund die NS-Verbrechen nicht bagatellisiert, sondern sich um Versöhnung bemüht. Johannes Meyer, seit 1930 NSDAP-Mitglied, geriet angesichts des Elends der KZ-Häftlinge in Gewissenskonflikte. In der Gemeindechronik beschrieb er detailliert ihr Leiden und Sterben, seine Gespräche mit dem Lagerkommandanten und den Wachen, den Zustand der Toten, die Beerdigungen und einige meist vergebliche Versuche, zu helfen: »Gott erbarme sich in Gnaden unseres Volkes. Es lädt durch diese Lager eine ungeheure Blutschuld auf sich.«

Noch 1945 beantragte er bei der britischen Militärregierung die Erlaubnis zur Errichtung einer würdigen Grabstätte. Er nahm Kontakt zu den niederländischen Angehörigen der Opfer auf. Allein 110 tote Häftlinge des Ladelunder »Todeslagers« stammen aus dem Ort Putten nahe Amsterdam. General Friedrich Christiansen, Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden, hatte nach einem Anschlag von Widerstandskämpfern das Dorf in Brand setzen und die Männer nach Deutschland deportieren lassen. Von den etwa 600 Männern aus Putten überlebten nur 49 das KZ Neuengamme und seine Außenlager. In seinen Briefen an die Angehörigen der Toten bekannte Pastor Meyer das »Verschulden des deutschen Volkes« an ihrem Leid und bat sie um Vergebung. Bereits 1946 kamen Überlebende zu einer Gedenkfeier. 1950 besuchten 130 Gäste aus Putten den neu errichteten Ehrenhain neben der Kirche – ein in der frühen Nachkriegszeit einmaliges Zusammentreffen. Im folgenden Jahr reiste Meyer nach Putten.

Aus der Errichtung der Grabstätte entwickelte sich eine kontinuierliche Erinnerungsarbeit, fortgesetzt von Meyers Nachfolger Pastor Harald Richter. Er verstand das historische Geschehen auch als Verpflichtung zum politischen Engagement gegen NPD und Aufrüstung. Die 1950 offiziell gegründete Gedenkstätte Ladelund ist eine der frühesten in Deutschland und die einzige in kirchlicher Trägerschaft. In ihrem Ansatz zur grenzüberschreitenden Versöhnungsarbeit war sie ihrer Zeit wie auch der Haltung der nordelbischen Landeskirchen weit voraus.