5 Haltung zu Krieg und Wiederaufrüstung

Ostermarsch in West-Berlin, 1968

bpk 30002158/Jochen Moll

Die Alliierten beschlossen nach Kriegsende die vollständige Entmilitarisierung Deutschlands. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer ab 1950 eine Politik der Wiederaufrüstung betrieb, lösten seine Pläne innenpolitische Auseinandersetzungen und Bürgerproteste aus.

Auch die evangelische Kirche war in dieser Frage gespalten. Die Kirchlichen Bruderschaften sowie bekannte Kirchenvertreter wie Martin Niemöller und Gustav Heinemann bezogen eindeutig Position gegen die Remilitarisierung. Die von prominenten evangelischen Wehrgegnern mitgetragene „Paulskirchenbewegung“ konnte 1955 hunderttausende Menschen gegen die Wiederbewaffnung mobilisieren.

In den nordelbischen Landeskirchen fanden diese Aktivitäten nur wenig Resonanz. Die vereinzelten Friedensinitiativen wurden von den Kirchenleitungen und zahlreichen Pastoren scharf kritisiert, ihr Engagement als Ausdruck „politischer Religion“ diffamiert.

In der Ausstellung werden darüber hinaus die innerkirchlichen Differenzen in der Frage des Totengedenkens im Kirchenraum sowie der Flensburger Denkmalstreit dokumentiert. In den gewählten Beispielen geht es um die Frage, an welche Toten man erinnern wollte und auf welche Weise ihrer gedacht werden sollte.

»Wir halten es für bedenklich, wenn nur noch jene Opfer des zweiten Weltkriegs als Kriegstote anerkannt werden sollen, die bei ›Kriegshandlungen im Rahmen des Völkerrechts‹ umkamen. Es besteht die Gefahr, dass in der Bundesrepublik ein falsches Bild des zweiten Weltkrieges durchgesetzt werden soll.«

Die »Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart« kritisierte 1964 in einem Rundschreiben an die Landeskirchen, dass die Bundesrepublik nach dem Kriegsgräbergesetz von 1952 keine Verantwortung für die Gräber der NS-Opfer übernahm.

»Wir würden m. E. den Ernst der Auseinandersetzung verkennen, wenn wir hier nur einige Sumpfblasen des Generationskomplexes verbunden mit militantem Pazifismus sehen … würden. Nein, hier ist reformatorischer Wille am Werk.«

Der Holsteiner Bischof Friedrich Hübner polemisierte in seinem Fastenbrief des Jahres 1967 gegen die Pastoren, die für eine Entfernung des Kriegerdenkmals in der Flensburger St. Marienkirche auftraten.

»Bitte setzen Sie sich doch weiterhin dafür ein, dass am Volkstrauertag aller Kriegsopfer und der Toten des Dritten Reiches gedacht wird, obwohl das bestimmten Kreisen nicht genehm zu sein scheint.«

Beharrlich drängte die »Hilfsstelle für Rasseverfolgte bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart« auch 1965 in einem Rundschreiben an die Landeskirchen darauf, dass an diesem Gedenktag nicht nur der gefallenen Soldaten und der zivilen Kriegsopfer, sondern auch der NS-Opfer gedacht werde.

»Waren wir bisher diese Töne nur aus Hessen und Rheinland gewöhnt, so müssen wir nun diese Verwirrung der Gewissen durch christlich aufgemachte Aufrufe, die in Wirklichkeit eine politische Religion zur Grundlage haben, auch in Schleswig-Holstein erfahren.«

Der Leiter des Laiendienstes der Evangelischen Akademie in Schleswig-Holstein, Felix Miller, beschwerte sich 1955 bei Bischof Halfmann über den »Aufruf an die Glieder der schleswig-holsteinischen Landeskirche gegen die Wiederaufrüstung«.

»Es wäre falsch und verhängnisvoll, wenn die Kirche die guten Erkenntnisse über Krieg und Frieden, die sie nach dem fatalen Ende von 1945 gewonnen hat, vergessen und verschweigen würde.«

Aus einem Aufruf der Pastoren Christian Dethleffsen, Holmer Gertz, Gerhard Torp, Harald Richter, Herbert Oppermann, Hans Magaard, Helmut Kiewning, Karl Tode, Hans Kanitz, Werner Krabbes, Horst Neujahr und Hans-Heinrich Pries an die Parteien vor der Landtagswahl 1962

»Dabei fällt mir der Satz ein, dass Revolutionäre immer solche Leute sind, die unter ihrer Begabung beschäftigt sind. Vielleicht trifft das auch auf die Flensburger Theologen zu, so dass man sich nach einer geeigneteren Beschäftigung für diese jungen Brüder umsehen müsste… «

Hintergrund: Die Haltung zu Krieg und Wiederaufrüstung

Welche Haltung hatte die evangelische Kirche – angesichts der militaristischen Propaganda in der Zeit des Nationalsozialismus und der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs – nach 1945 gegenüber Krieg und Wiederbewaffnung? Die Alliierten beschlossen nach Kriegsende die vollständige Entmilitarisierung Deutschlands. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer ab 1950 im Zuge des sich durch den Korea-Krieg verschärfenden Konflikts zwischen den Westmächten und der Sowjetunion eine Politik der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland betrieb, lösten seine Pläne innenpolitische Auseinandersetzungen und Bürgerproteste aus.

Auch die evangelische Kirche war in dieser Frage gespalten. Die Kirchlichen Bruderschaften, die aus der Tradition der Bekennenden Kirche hervorgegangen waren, sowie bekannte Kirchenvertreter wie Martin Niemöller und Gustav Heinemann bezogen eingedenk der deutschen Kriegsschuld eindeutig Position gegen die Remilitarisierung. Der damalige Präses der Synode der EKD und spätere Bundespräsident Heinemann trat 1950 wegen Adenauers Plänen von seinem Amt als Innenminister zurück. In der Folge sammelte Heinemann in der »Notgemeinschaft für den Frieden Europas« und später in der pazifistischen »Gesamtdeutschen Volkspartei« Gegner der Wiederbewaffnung um sich. Sie stammten größtenteils aus dem protestantischen Milieu.

Die von prominenten evangelischen Wehrgegnern mitgetragene »Paulskirchenbewegung« konnte 1955 hunderttausende Menschen gegen die Wiederbewaffnung mobilisieren. Dennoch beschloss der Bundestag die Aufstellung von Streitkräften und den NATO-Beitritt. Die Friedensinitiativen fanden ihre Fortsetzung in der Kampagne »Kampf dem Atomtod« von 1958 und in der Ostermarsch-Bewegung der 1960er Jahre. Sie richteten sich gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr und wurden wiederum von den Kirchlichen Bruderschaften unterstützt.

In den nordelbischen Landeskirchen fanden diese Aktivitäten im Unterschied zu anderen Regionen nur wenig Resonanz. Die vereinzelten Friedensinitiativen wurden von den Kirchenleitungen und zahlreichen Pastoren scharf kritisiert, ihr Engagement als Ausdruck »politischer Religion« diffamiert. Zu innerkirchlichen Differenzen kam es auch in der Frage des Totengedenkens im Kirchenraum. Gestritten wurde darüber, an welche der Millionen Toten – gefallene Soldaten, zivile Kriegsopfer, Opfer der NS-Verfolgung – man erinnern wollte und auf welche Art und Weise ihrer gedacht werden sollte.

Gustav Heinemann bei einer Ansprache auf der Generalsynode der EKD, Bethel bei Bielefeld, Januar 1949
Die damals noch gesamtdeutsche EKD-Synode wählte Heinemann, den Mitunterzeichner der Stuttgarter Schulderklärung, zum Präses. 1955 wurde er auf Drängen konservativer Kreise innerhalb der EKD abgelöst.
Bundesarchiv 183 – R95855

Beispiel: Friedensinitiativen im Bereich der nordelbischen Landeskirchen nach 1945

Gegenplakat zum Kirchentag mit dem Motto der Friedensdemonstration, 1981
Das offizielle Kirchentags-Thema folgte dem Bibelspruch: »Fürchtet euch nicht«.
Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Das Engagement kirchlicher Kräfte gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands in den 1950er Jahren fand in den nordelbischen Landeskirchen kaum Zustimmung. Es stieß vielmehr auf massive Ablehnung. Nur wenige Geistliche setzten sich in Friedensinitiativen ein: In Schleswig-Holstein forderten einzelne Theologen 1955 mit einem »Aufruf an die Glieder der schleswigholsteinischen Landeskirche gegen die Wiederaufrüstung« zur Unterstützung des Manifests der antimilitaristischen »Paulskirchenbewegung« auf.

1956 erhoben sich Proteste gegen die geplante Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Einige Kirchenleute lehnten die vorgesehene Befreiung Geistlicher vom Wehrdienst genauso ab wie zuvor die Wiederbewaffnung. Sie wollten die Geistlichkeit nicht von der Auseinandersetzung mit der Gewissensfrage ausgenommen sehen. Fünfzehn Theologen der Landeskirche appellierten an die Bischöfe Wester und Halfmann, gegen dieses Sonderrecht öffentlich Stellung zu beziehen. 1962 sprachen sich schleswig-holsteinische Pastoren in einem Aufruf an die politischen Parteien für militärische Entspannung und Verständigung mit dem Ostblock aus.

Vor allem jüngere Theologen der ersten Nachkriegsgeneration protestierten gegen die Aufrüstung und den Aufbau der Bundeswehr. Während ihres Studiums hatten sie entscheidende Anstöße erhalten, unter anderem von dem Kieler Studentenpfarrer Joachim Ziegenrücker, der die Studenten »zu gründlicher Urteilsfindung« befähigen wollte und sie ermunterte, »Verantwortung zu übernehmen«. Die kritische Aufarbeitung der NS-Zeit und die Friedensbotschaft des Evangeliums waren für sie von zentraler Bedeutung. Die Kirchenleitung und viele Geistliche verurteilten die Protestaufrufe dieser Theologen scharf.

Noch zu Beginn der 1980er Jahre begegnete die Führung der nun fusionierten nordelbischen Landeskirche Friedensinitiativen aus den eigenen Reihen mit Skepsis. Zu dieser Zeit entstand als Reaktion auf die atomare Hochrüstung und den Nato-Doppelbeschluss eine neue Friedensbewegung. Den Auftakt der Massenproteste in der Bundesrepublik bildete eine von der Hamburger Evangelischen Studentengemeinde (ESG) mit getragene Friedensdemonstration anlässlich des Kirchentags 1981. Obwohl an dem Protestzug viele Mitglieder des Kirchentagspräsidiums und Besucherinnen und Besucher in großer Zahl teilnahmen, kritisierten Vertreter von Kirchenleitung und Kirchenamt die ESG. Sie bezichtigten die Studentengemeinde, sich auf die Seite derer zu stellen, »die Kirche bekämpfen«. Bischof Hans-Otto Wölber ließ sich durch den Hamburger Verfassungsschutz mit vertraulichen Informationen über beteiligte Geistliche und kirchliche Organisationen und über geplante Veranstaltungen versorgen.